Sich abgrenzen lernen - wie wir bewusst nein sagen und Grenzen setzen

Du kannst es nicht allen recht machen! Sich abgrenzen lernen und Nein sagen

Bist du auch manchmal voller Sorge, weil du fürchtest, etwas falsch zu machen? Nimmst du Worte und Taten anderer Menschen sehr persönlich und lässt dich schnell von Negativem einnehmen? Planst du auch häufig zu viel und merkst zu spät, dass dir alles über den Kopf wächst? Und hast du dann irgendwann das Gefühl zu platzen, weil der Druck zu stark wird und ziehst dich zurück, wirst krank oder stößt Menschen vor den Kopf, ohne es zu wollen? Ich habe eine Lösung für dich: sich abgrenzen lernen, Nein sagen und Ja, ganz bewusst. Komm mit auf eine Reise hin zu deinen eigenen Bedürfnissen.

Inhalt dieses Artikels


Der Fluch der Harmonie

„Immer nur für Harmonie zu sorgen, macht am Ende vor allem eins: Unglücklich.“

Wie oft sagen wir JA, obwohl wir NEIN meinen? Wie oft lächeln wir, sagen „kein Problem“, obwohl uns gar nicht danach zumute ist? Wie oft nehmen wir uns etwas zu Herzen, grübeln und grübeln, überlegen, ob wir alles richtig gemacht haben, oder doch etwas falsch und merken zu spät, dass wir gefangen sind in den eigenen Gedanken und Gefühlen.

Dann brauchen wir Ruhe, nur Ruhe.

Doch die Ruhe im Außen wird nicht viel bringen. Alles wird sich wiederholen, bis wir akzeptieren, dass wir niemals alles richtig  und es auch nicht allen recht machen können.

Sich abgrenzen lernen und Grenzen ziehen, für sich selbst und andere, heißt dein Werkzeug. Bist du bereit?

Eine Welt in rosarot

Wünscht du dir auch manchmal diese Welt, in der alles einfach nur großartig ist, alle Menschen selig lächelnd von Hüpfburg zu Hüpfburg springen, sich lieb haben, immer, bedingungslos. In der man schon vorher erahnt, wann es dem anderen schlecht gehen könnte und darauf eingeht.

Das habe ich mir auch eine ganze Zeit lang.

Bis ich genau darüber nachdachte und mir klar wurde: in dieser vermeintlich perfekten Welt gäbe es keine unterschiedlichen Persönlichkeiten, keine Meinungen, keine Bedürfnisse und damit auch keine Inspiration, kein persönliches Wachstum und ja, vielleicht auch gerade dann keine intensiven Freundschaften, in denen man durch Dick und Dünn geht, also das, was sich die meisten Menschen wünschen.

Versteht mich nicht falsch, ich hätte nichts dagegen, wenn Menschen ihre negativen Emotionen nicht an anderen auslassen würden, diese nicht durch Ellbogen, Mobbing oder Gewalt kompensieren. Doch darum soll es heute nicht gehen. Denn andere Menschen können wir am Ende nicht ändern. Alles was wir können ist bei uns selbst anzusetzen  – und uns deutlich vor Augen zu führen: Wenn wir versuchen, es allen Recht zu machen, alles richtig zu machen, verlieren wir uns selbst.

Der Focus schreibt dazu: „Wir alle möchten gemocht werden und beliebt sein. Wir möchten es unseren Mitmenschen recht machen, weil wir regelrecht harmoniesüchtig sind. (…) Nach [der Autorin Christine] Carter ist das Phänomen des „es allen recht machen wollens” eher schädlich. Dabei lassen wir nämlich außer Acht, dass wir unsere persönliche Integrität aufs Spiel setzen und das, was wir selber wollen.“

Denn ja, wo bleiben wir?

Wir sind dabei, alle Störfaktoren im Keim zu ersticken. Störfaktoren, die das gute Gefühl trügen könnten. Wir sorgen uns, kümmern uns, lieber einmal mehr als zu wenig, planen viel, damit nichts aus dem Ruder läuft, und machen uns wahrscheinlich auch einmal zu sehr abhängig von einem Freund und den Reaktionen anderer.

Hinter diesem Bemühen steht vor allem eins: die Angst vor Ablehnung – und meiner Meinung nach die Angst vor negativen Emotionen. Weil wir schlichtweg nicht gelernt haben, uns von diesen abzugrenzen.

Warum sich abgrenzen lernen und Nein sagen schwer fällt

Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer mehr Grenzen verschwimmen und deshalb die wenigsten Menschen gelernt haben, die eigenen Grenzen wahrzunehmen, zu kommunizieren und sie zu beschützen.

Wir können jederzeit alles konsumieren, alles kaufen, alles haben.

Die Arbeit nimmt immer mehr Einfluss auf das Privatleben, das Internet lässt einen rund um die Uhr erreichbar sein. Über Social Media erhalten wir teilweise ganz persönliche Einblicke von fremden Leuten, können an ihrem Tag teilhaben, sehen, was sie machen, wie schön sie dabei aussehen und sowieso und überhaupt. Fangen vielleicht an, uns zu vergleichen, und der Druck wird stärker, mehr zu machen, mehr zu wagen, mehr zu sein.

Doch wer bin ich? Ja wer bin ich? Und wo sind meine Grenzen?

Vielleicht wurden schon früh in der Kindheit immer wieder die eigenen Grenzen überschritten, ohne dass wir wussten, was wir dagegen tun können – oder dass wir überhaupt ein Recht auf Grenzen haben.

Vielleicht durften wir selbst keine Grenzen setzen, um andere nicht wütend zu machen oder zu beleidigen, um nicht ausgegrenzt oder verlassen zu werden.

Am Ende nährte sich dadurch vor allem dieser eine, unbewusste Gedanke, der es meist noch bis ins Erwachsenenalter das „sich abgrenzen lernen“ schwer macht.

Nur wenn ich es anderen Recht mache, mich anpasse und so handel, wie andere es von mir verlangen, wird alles gut.

Hinweis: Wenn du das Gefühl hast, stark unter deinen vergangenen Erfahrungen zu leiden, empfehle ich dir, mit einem Arzt zu sprechen. Ich bin keine Psychologin.

Sich abgrenzen und Hochsensibilität

Und es gibt noch eine weitere, große Ursache, die dazu führen kann, dass es schwer fällt, Grenzen zu ziehen: Hochsensibilität.

Hochsensible Menschen(…) versetzen sich emotional häufig automatisch und unfreiwillig in andere Menschen hinein. Ihre Wahrnehmungen sind stärker ausgeprägt als bei durchschnittlich sensiblen Menschen, was dazu führt, dass sie anfälliger gegenüber Reizüberflutung sind und es ihnen schwerer fällt, sich von äußeren Einflüssen abzugrenzen.

Irgendwann in seiner Entwicklung lernt ein Kind „nein“ zu sagen: dann, wenn sich das Bewusstsein über das eigene „Ich“ entwickelt. Ist man jedoch hypersensibel und damit besonders empathisch veranlagt, kann es vorkommen, dass sich die Grenzen zwischen dem ‚Ich‘ und einem ‚Du‘ vermischen.“ Quelle: open-mind-akademie.de

Und so fällt es hochsensiblen Menschen oft schwer, zwischen eigenen und fremden Gefühlen zu unterscheiden und diese richtig einzuordnen. Zu verinnerlichen, dass das Grübeln des Gegenübers, die Reaktion oder Nicht-Reaktion manchmal gar nichts mit einem selbst zu tun hat.

Dass wir nicht gleich unbeliebt sind, wenn wir einfach einmal Nein sagen und dies nachvollziehbar begründen.

Dass jeder Mensch ganz eigene Bedürfnisse und Probleme hat und wir nicht immer Auslöser sind, aber genauso wenig ständig der Retter.

Doch genau diese Erkenntnis ist schwer.

Im Grunde fühlen wir Hochsensiblen uns nämlich verstärkt verantwortlich für andere und für deren Gefühle. Sich abgrenzen lernen wird genau hier umso wichtiger.

Darum ist sich abgrenzen lernen so wichtig

Lass mich dir eine Frage stellen:

Bist du glücklicher, wenn du es allen recht machst bzw. versuchst, alles richtig zu machen? Fühlst du dich dadurch sicher im Sinne von leicht und frei? Fühlst du dich dadurch mehr du selbst?

Wenn du diese Fragen mit Ja beantworten kannst, hast du vielleicht deinen Weg gefunden und kümmerst dich gern und liebst es, zu planen. Aber höchstwahrscheinlich wäre dann dieser Artikel nicht auf dein Interesse gestoßen.

Also gehe ich jetzt davon aus, dass du nicht glücklicher bist, indem du versuchst, es allen recht zu machen und negative Gefühle zu vermeiden.

Kein Wunder.

Denn anders als wir vielleicht glauben, tun wir niemandem etwas Gutes damit. Nicht uns selbst und auch nicht anderen.

Weil:

Damit wir alles unter Kontrolle halten und alle – uns selbst eingeschlossen – zufrieden stellen können, stecken wir unterbewusst Menschen und Situationen in Schubladen.

Gedanken wie „Der macht sicher wieder dies und das …“ bzw. „Das mag ich nicht. Da passiert sicher wieder das …“ dienen dazu, mögliches Konfliktpotential schon im Vorhinein zu vermeiden.

Mit folgenden Folgen:

1. Wir wagen weniger Neues, weil wir uns keinen schwierigen Gefühlen aussetzen wollen. Oder wir „wagen“ nur Neues, wenn wir uns dazu gezwungen fühlen. Oder wir planen gaaaanz viel, um uns vor etwaigen negativen Situationen zu schützen. Doch die Erfahrung selbst und der Moment, die ziehen an uns vorbei. Und manchmal sind wir sogar froh, das Ganze hinter uns gebracht zu haben. Das Problem daran: Die Zeit rast, wir hören auf zu lernen, Erfolgserlebnisse und damit verbundene Glücksgefühle bleiben aus, wir entwickeln uns nicht weiter.

2. Wir verwehren Menschen die Möglichkeit, immer sie selbst sein zu dürfen, so wie sie gerade sind, wie sich gerade fühlen, weil wir die schlechte Stimmung nicht aushalten. Und was wir anderen nicht erlauben, erlauben wir auch uns selbst nicht.

Wir erwarten also auch von uns, dass wir immer gut drauf sind, immer Verständnis haben, immer springen, am besten bevor jemand ruft. Und sobald schwierige Gefühle auftauchen, wird alles noch schwieriger, weil sie nicht da sein dürfen.

Freiheit? Offenheit? Hat keinen Platz!

Im Endeffekt schaffen wir uns damit eine riesengroße Bürde, ein Gefängnis aus Sicherheit und positiven Gefühlen, die nur Schein sind.

„Wenn wir vorgeben, es gehe uns besser als es uns geht, ist das eine besonders anstrengende Form der Selbstkontrolle. Wer zu viel Selbstkontrolle ausüben muss, der wird andere Aufgaben nicht mehr so gut erfüllen und auch andere Emotionen nicht mehr so gut kontrollieren können. (…) Wer ständig tue, als wäre alles besser als es ist, der lügt. Lügen stresst uns. Puls, Atem, Stimme ändern sich unmerklich und Stresshormone werden vermehrt ausgeschüttet. All das ist nicht gut für unser Glückslevel. Da ist sich Carter sicher,“ so heißt es auf focus.de. 

Ich finde das macht Sinn. Sehr sogar.

Where focus goes, energy flows

Denn genau dann versinken wir nicht selten im negativen Gedanken machen, unser Körper reagiert, vielleicht mit einer Erkältung, Rückenschmerzen oder Migräne, um uns zu schützen, weil er weiß, dass wir keine Grenzen setzen werden.

Wir werden sensibler und sensibler oder genervter und genervter, interpretieren zu viel in Worte und Sätze, steigern uns in eine Situation hinein oder werden ganz abhängig von einem bestimmten Menschen und nehmen das, was wir eigentlich sehen sollten, das große Ganze und uns selbst, kaum mehr wahr.

Dann sind wir auf uns selbst böse und/oder auch auf andere Personen. Und meist kompensieren wir diese negativen Emotionen durch verstärktes Kümmern, um all den Ärger zu ersticken.

Diese Form des Kümmerns ist pure Abhängigkeit und vielleicht auch Egoismus, so weh diese Erkenntnis auch tun mag.

Weil wir uns vor allem kümmern, weil wir etwas zurückhaben wollen. Liebe, Anerkennung, Harmonie, all das, was wir uns in diesem Moment nicht selbst geben können.

Und diese Form des Kümmerns ist Selbstverletzung, wenn wir z. B. einem Arbeitskollegen nie sagen, dass sich der Ton nicht gehört. Oder unserem Partner nie sagen, dass wir es nicht ok finden, wenn wir den Haushalt alleine schmeißen. Oder wir der Freundin nie sagen, dass sie uns durch bestimmte Sprüche verletzt. Oder wir uns nicht einfach Ruhe gönnen, wenn jeder Zipfel unseres Körpers danach schreit.

Das alles sind Grenzen, und Grenzen gehören zum Leben dazu. Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse, die sich ständig verändern und wir können nicht vermeiden, auch mal ordentlich gegen diese zu stoßen.

Genau deshalb ist sich abgrenzen lernen so wichtig! Zu lernen, dass von negativen Emotionen nicht die Welt untergeht, zu lernen, dass Gefühle nicht planbar sind, dass wir nur dann Glück spüren können, wenn wir all die Hochs und Tiefs des Lebens wahrnehmen und zu lernen, dass wir nur für andere Menschen so richtig, aus vollem Herzen, da sein können, wenn wir auf uns selbst Acht geben.

Und so geht´s:

6 Schritte: So lernst du deine Grenzen kennen und Nein zu sagen

Schritt 1: Akzeptanz

Den ersten Schritt bist zu schon gegangen: Du bist dir darüber bewusst, dass es dir schwer fällt, dich abzugrenzen und Grenzen zu ziehen. Jetzt heißt es: die Akzeptanz weiter trainieren.

Trainieren, dass du nicht auf dich selbst böse bist, wenn du über deine Grenzen gehst, sondern anerkennst, dass es schwer ist. Für dich, genau wie für viele, viele andere Menschen.

Und anerkennst, dass du unglaublich wertvoll bist und dass deine Sensibilität und dein Bedürfnis, für Harmonie und gute Gefühle zu sorgen, auf keinen Fall eine Schwäche ist, sondern vielmehr eine Gabe:

Du bist sehr empfindsam und empathisch, kannst dich gut in andere Menschen einfühlen, bist ein guter Zuhörer und ein verlässlicher Freund.

Jetzt geht es nur noch darum zu lernen, wie du deine Gabe als Stärke wahrnimmst und einsetzt – für dich und andere.

Schritt 2: Lerne dich und deine Grenzen kennen, so richtig

Finde heraus, welche Situationen für dich sehr anstrengend sind. Schreibe auf, in welchen Umständen und ggf. mit welchen Personen du dich sehr unbehaglich fühlst, dir zu viele Gedanken machst, dich um alles kümmern willst, aber gleichzeitig merkst, dass dir das eigentlich viel zu viel wird.

Frage dich, woran das liegen könnte – ohne dabei irgendwem die Schuld zu geben, nicht dir und nicht anderen. Und streiche auch all das „aber ich muss ja …“! Nein, jetzt geht es einfach um eine Bestandsaufnahme, ohne eine Lösung zu suchen.

Versuche also, ganz sachlich zu bleiben: Warum nimmst du die Worte von dieser Person so persönlich? Warum strengt dich diese eine Art von Veranstaltung so an? Wieso nimmst du dir an bestimmten Tagen ganz viel vor, und merkst zu spät, dass du rast, obwohl du eigentlich gar nicht rasen willst?

Frage dich: Wie wichtig sind dir diese „Events“ wirklich (oder auch: wie wichtig sind dir bestimmte Menschen)? 

Das heißt: Nimmst du nur an bestimmten Veranstaltungen teil, weil du denkst, dass du das müsstest oder weil du Angst hast, dass du sonst jemandem vor den Kopf stößt oder Kritik erntest?

Triffst du dich mit einer bestimmten Person, weil du dich mit allen verstehen möchtest, merkst aber eigentlich im Grunde, dass dir dieser Mensch nicht gut tut?

Nimmst du dir vielleicht an ganz bestimmten Tagen zu viel vor, weil du Angst vor dem Nichtstun hast, weil du bestimmten Erwartungen gerecht werden willst, weil du denkst, ganz viel schaffen zu müssen oder schlichtweg auf der Suche bist nach Glücksgefühlen?

Was könntest du tun, um dich zu schützen? Könntest du diese Events und To Dos reduzieren? Proaktiv?

Hinweis: Es geht nicht darum, alles zu vermeiden, was einem Unbehagen bereitet, sondern herauszufinden, was einem sehr gut tun könnte, wenn man sich besser abgrenzen würde.

Wenn du das Gefühl hast, das dir diese Events oder Personen wirklich sehr wichtig sind und du lernen möchtest, genau deshalb mehr Grenzen zu setzen, dann:

Beobachte ich bei diesen „Events“: Wann tendierst du dazu, dich zu kümmern, etwas regeln zu wollen, dir Gedanken zu machen? Wann bist du mit deinen Sinnen vielleicht nicht mehr bei deinem Gegenüber oder dem, was du tust, sondern verlierst dich in Gedanken oder Stimmungen und Gesprächen um dich herum? Wann tritt eine Unruhe auf? Wie reagiert jetzt dein Körper?

Versuche genau diese Tendenzen verstärkt wahrzunehmen und dich gleichzeitig von deinen Gedanken und Gefühlen zu distanzieren, ohne dich zu be- oder verurteilen.

Sage quasi „ah ok, jetzt will ich mich wieder kümmern/jetzt frage ich mich, ob ich alles richtig gemacht habe“, schenke dir ein klitzekleines Lächeln, atme tief durch, spüre dich und deinen Körper und widme dich wieder dem, was du gerade tust.

Frage dich: Was macht dir Angst, diese Grenze zu setzen? Schreibe all das auf, was dir dazu durch den Kopf geht.

Fasse nun deine Grenzen noch einmal zusammen: Wo spürst du diese ganz deutlich, was behagt dir gar nicht, wie gehst du dann mit den Situationen um? Gehst du auf Distanz oder kontaktierst du wie wild alle möglichen Leute, forderst du Bestätigung oder machst ganz viele Pläne und Zusagen, die dir dann total über den Kopf wachen? Und machst vielleicht andere Menschen für dein Gefühl verantwortlich?

Und jetzt: Trainiere und sage auf diesen Events ruhig auch einmal Nein. Du bist ein ganzes Wochenende mit Familie oder Freunden unterwegs, merkst, dass du kurz eine Pause brauchst, willst jedoch nichts verpassen oder denkst schlichtweg, dich nicht zurückziehen zu dürfen? Doch du darfst. Wie du lernst, „Nein“ zu sagen, ohne andere vor den Kopf zu stoßen oder sofort ein schlechtes Gewissen zu haben, erfährst du gleich.

Schritt 3: Realitätsabgleich – what is really going on?

Wenn du registrierst, dass du die Tendenz hast, dich zu kümmern, ALLES zu planen oder deine Gedanken vielleicht immer um eine bestimmte Person oder Situation kreisen, hilft es, die Perspektive zu wechseln (entweder dich in die andere Person hineinzuversetzen oder die Situation als nicht involvierter Mensch zu betrachten):

  • Musst du dafür wirklich die Verantwortung übernehmen und vor allem: Willst du dafür die Verantwortung übernehmen? Könnte diese auch jemand anders übernehmen oder könnte man sich die Aufgaben teilen?
  • Musst du dich gerade wirklich um etwas oder jemanden kümmern? Braucht es oder derjenige deine Hilfe?
  • Ist das, was dir gerade Sorgen bereitet, wirklich so schlimm?

Sage dir selbst, ohne Bitterkeit: Die Welt dreht sich nicht nur um mich!

Und das mein ich gar nicht böse. Auch wenn dieser Satz erst einmal erschreckend wirken kann, kann er doch so erleichtern. Genau dann wenn wir uns bewusst machen, dass jeder Mensch sein eigenes Leben, seine eigenen Bedürfnisse und Probleme hat und auch seine ganz eigene Art und Weise damit umzugehen, dass wir nicht für alles und jeden verantwortlich sind und das auch niemand erwarten kann.

Wenn jemand deine Hilfe braucht, wird er dir das sagen. Niemand erwartet von dir, dass du immer spürst, was der andere will oder was ihn bedrückt. Und wenn doch, dann ist es vielleicht höchste Zeit, genau hier eine Grenze zu ziehen.

Wage es loszulassen, loszulassen davon, dass irgendwer gerade auf jeden Fall böse ist, irgendwer nicht an dich gedacht oder schon länger nicht geantwortet hat, oder dass irgendwas schief gehen könnte, dass eine Entscheidung vielleicht nicht die richtige war …

Vertraue darauf, dass alles gut ist. Dass du gut bist. Nur heute, nur jetzt. Und frage dich: Was könnte im schlimmsten Fall passieren? Und wenn dieses Schlimmste passiert: Wie könntest du damit umgehen? Könntest du vielleicht ganz offen mit demjenigen sprechen, über deine Gedanken und Ängste und Gefühle?

Schritt 4: Nach außen gehen

Abgrenzung heißt nicht, Mauern zu bauen und alles Negative zu vermeiden. Im Gegenteil. Denn dann würden wir alle Menschen und Möglichkeiten ausgrenzen.

Vielmehr setzen wir Grenzen, indem wir ehrlich und offen kommunizieren, indem wir Verständnis zeigen, für uns selbst (und damit auch für andere).

Und indem wir Verantwortung übernehmen. Für unsere Taten, unsere Bedürfnisse, unsere Grenzen und dafür, uns das zu geben, was wir vielleicht von anderen erwarten oder bei anderen suchen.

Hinweis: Manchmal wissen deine Freunde vielleicht schlichtweg nicht, dass eine bestimmte Situationen für dich sehr unentspannt ist. Selbst wenn du das schon kommuniziert hast.

Buch-Tipp: The gifts of imperfection* von Brene Brown, meines Erachtens das tollste Buch auf Erden in Sachen Selbstliebe, Authentizität und Unperfektheit.

Buchtipp: Gifts of Imperfection

Schritt 5: Ja und Nein sagen lernen

Grenzen zu ziehen und zu kommunizieren, bedeutet im Grunde Nein sagen und Ja sagen zu lernen.

Dann wenn es angemessen ist.

Angemessen, weil wir wissen, dass wir die Grenze brauchen. Oder angemessen, weil wir ganz bewusst über unsere Grenze gehen.

Genau hier greifen alle vorherigen Schritte ineinander.

Ein Bespiel:

Du magst keine öffentlichen Veranstaltungen. Sie bereiten dir Unbehagen, weil es dir zu laut und voll ist, weil du schüchtern bist etc. (Schritt 1: Akzeptanz).

Und nun fragt dich eine gute Freundin, ob du sie auf eine Messe begleiten könntest, weil sie sehr Angst davor hat, aber aus Jobgründen dazu quasi gezwungen wird.

Beobachte dich: Wie reagiert dein Geist? Hast du den Impuls sofort, Ja zu sagen. Schreit dein Körper aber vielleicht Nein? Wird dir heiß, wirst du unruhig? (Schritt 2: Lerne dich und deine Grenzen kennen)

Falls du deine Grenzen jetzt schon wahrnimmst, teile deiner Freundin mit, wie du dich fühlst und dass du kurz darüber nachdenken magst, wie du ihr da helfen kannst, weil auch dir die Situation nicht ganz behagt. (Schritt 4: Nach außen gehen – erst möglich, wenn du dich schon intensiv mit deinen Bedürfnissen auseinandergesetzt hast.)

Reagiere nicht sofort, sage nicht sofort ja, sondern frage dich: Kann die Person jemand anders fragen? Braucht sie dich wirklich? Und könntest du das für diese Person in Kauf nehmen? Was kann schlimmstenfalls passieren? Und wie könntest du dieses Schlimmstenfalls vielleicht etwas umgehen – auf was solltest du auf dieser Veranstaltung achten?  (Schritt 3: Realitätsabgleich)

Wenn du diese Fragen für dich beantwortet hast, antworte deiner Freundin und teile ihr mit, wie du dich fühlst (Schritt 4: Nach außen gehen).

Option 1 (Schritt 5 – Bewusst Ja sagen):

Sage ihr, dass du ihr sehr gern helfen magst, du aber ein paar Kompromisse bräuchtest. Z. B. dass es für dich gut wäre, wenn ihr nicht den ganzen Tag vor Ort bleibt, zwischendurch nur zu zweit Mittag esst oder dass du nach ein paar Stunden gehen würdest und Zuhause mit einem Glas Wein und einem leckeren Essen auf sie wartest … Genau dann passt ihr gegenseitig aufeinander auf. Und so soll es doch sein oder?

Leseempfehlung: Dazwischenland – weil Alles oder Nichts uns nicht weiterbringt

Option 2 (Schritt 5 – Bewusst Nein sagen):

Wenn es für dich gar nicht in Frage kommt, Panik auslöst, und du denkst, dass eine andere Freundin oder ein anderer Freund eine bessere Begleitung wäre, schlage das deiner Freundin vor.

Denn: Wenn dein Bauchgefühl dir sofort Nein entgegen schreit, sag ganz bewusst Nein, ohne Groll.

Du darfst Nein sagen. Immer.

Ein gezwungenes Ja weckt oft Schuldgefühle beim Gegenüber und dir selbst. Und damit ist wirklich niemandem geholfen.

Schritt 6: Triff diese Entscheidung und wäge nicht mehr ab

Versuche jetzt wahrzunehmen, was dein innerer Kritiker sagt (denn der wird höchstwahrscheinlich toben) und bring dir genau jetzt ein liebevolles Lächeln entgegen. Du lernst nämlich gerade, dich abzugrenzen und darfst stolz auf dich sein.

Versuche nicht, die Grenze zu lockern, weil du dich schlecht fühlst. Versuche nicht, positives Feedback von anderen zu erwarten. Sondern versuche das, was du dir gerade von anderen sehnlichst wünscht, dir Stück für Stück selbst zu geben.

Versuche Menschen, ihren Freiraum lassen und ihnen trotzdem zu zeigen, dass sie dir viel bedeuten und sie nicht zu bestrafen. Sei für deine Liebsten da, wenn sie dich wirklich brauchen – und weil du es willst.

Auch das heißt sich abgrenzen lernen.

Und dann, ja dann kann sich abgrenzen lernen bedeuten, dass unsere Beziehungen wertvoller werden.

Weil wir klar kommunizieren, was wir möchten, weil uns nicht mehr um Alles und Nichts kümmern und es uns dann doch zu viel wird.

Weil sich Menschen dadurch viel stärker auf uns verlassen können – und wir uns auch auf andere.

Weil wir unsere Gefühle und die von anderen ernst nehmen und achten, ohne Wenn und Aber. Weil du dadurch auch anderen hilfst, einmal Nein zu sagen und die eignen Grenzen zu stärken.

Denn anders als wir vielleicht denken, geht wirklich nicht die Welt davon unter, wenn man einmal unterschiedlicher Meinung ist, solange wir uns selbst treu bleiben und andere respektieren.

Und am Ende stärkt das vor allem eins: Das Vertrauen uns selbst und unsere eigene Identität.


Ich hoffe, ich konnte dich ein kleines Stückchen auf deinem Weg hin zu „sich abgrenzen lernen“ begleiten. 

Ich freue mich sehr über all deine Gedanken in den Kommentaren oder per Nachricht an mich. 

From Bali with love,

Sina

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Schule, Studium, Arbeit, immer weiter, immer mehr. 2016 habe ich Stopp gesagt, meinen Job gekündigt und bin in die Welt gezogen. Das war die beste und härteste Entscheidung meines Lebens. Denn ich bin: Mutig & angstlich. Ferndurstig & heimwehplagt. Kreativ & perfektionistisch. Rebellisch & hochsensibel. 2 Herzen in einer Brust? Ich hab tausend. Und darüber schreibe ich, für dich. Weil wir alle uns die Freiheit nehmen sollten, wir selbst zu sein.

2 Kommentare zu “Du kannst es nicht allen recht machen! Sich abgrenzen lernen und Nein sagen

  1. Hi, vielen lieben Dank für Ihre Worte.
    Ich habe die Schwierigkeiten durch meine Kindheit. Ich verschmelzen mit den andern. Ich habe öfters gesagt das ich nicht so belastbar bin und meine Ruhe brauche. Selbst das mir das zu viel ist wenn ein Mensch sein Herz ausschütten.
    Hab gesagt, das ich mit mir selbst viel zu Tuen haben.. Das wird aber vergessen, der andere ist nur in seins in seinen Strukturen!!! Er fühlt sich gedrängt, verlassen, einsam. Aber mich verstehen sie nicht!! Das ist halt so gleichzeitig habe ich Stop zu sagen. Das geht über meine Grenzen und ist gesund!!
    Es ist so halt so, der andere kann nicht denken das andere Menschen immer für sie da sind. Und das Menschen immer auf sie reagieren.

  2. Svenja Johannsen

    Sina, der Artikel ist toll und hat mich zum Nachdenken gebracht. Danke

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